Hakahori

Glaubst's?

Die richtige Einstellung

Hm, wie fängt man einen Blog über das Thema Religion an, in einer Welt, in der sich die einen Gläubigen von einem senilen Alten einreden lassen, Kondome seien genau so schlecht wie die Pille danach; in der sich wiederum andere Gläubige in die Luft sprengen, in der Hoffnung auf jede Menge Schäferstündchen im Jenseits; in der Religion völlig überholt und realitätsfremd scheint, wie jemals zuvor? Schwer.
Ich für meinen Teil habe meinen eigenen Glauben gefunden, der sich nicht als Religion, sondern als Lebenseinstellung oder -philosophie zusammenfassen lässt.

Die katholische Kirche wurde mir seit meiner Jugend immer fremder. Ich habe die Bibel nie gelesen, mich nie ernsthaft mit dem Stoff auseinander gesetzt und konnte von vorne bis hinten einfach nichts mit dieser Religion anfangen. Wie auch schon in meinem Austritts-Blog beschrieben, setzte sich diese Skepsis weiter fort. Ich habe es einfach in den Genen, dass ich Menschen und Dinge hinterfrage und verstehen muss, verstehen will. Die Kirche habe ich aber nie verstanden. Wieso muss ich jeden Sonntag in die Kirche gehen, wenn ich genau so gut zu Hause beten und glauben kann? Wieso das Tamtam zur Kommunion und Firmung? Was haben die Zehn Gebote für einen Sinn, wenn sich rein gar niemand daran hält? Und Himmel Herrgott, für was bezahle ich bitte so viel Kirchensteuer, wenn jeden Sonntag eh wieder das Körbchen rundgeht und man wieder um einiges an Geld erleichtert wird? Das waren für mich zu viele Fragen und zu viele Dinge, die einfach keinen Sinn ergaben.
Weit vor den Missbrauchsskandalen und anderen Fehltritten der katholischen Kirche, habe ich mir also die Frage gestellt, woran ich selbst eigentlich glaube, wenn nicht an das, was in der Bibel steht. Und so zimmerte ich meinen eigenen Glauben, der sich im Nachhinein per Zufall mit dem Hinduismus deckte; nicht in allen Punkten, aber in den meisten. Beispielsweise an die Überzeugung, dass Körper und Geist (aka Seele oder wie man es auch immer nennen mag) zwei getrennte Dinge sind. Der Körper ist endlich, die Seele nicht. Das war das Grundgerüst für meinen eigenen Glauben und gleichzeitig auch der endgültige Bruch mit der Kirche. Man mag meinen, dass das Christentum ähnliche Vorstellungen hat, sie aber selbst nicht wirklich zu verstehen scheinen. Das Schlüsselerlebnis des Bruchs mit dieser Religion erlebte ich, schlimm genug, auf einer Beerdigung.

Mein Großvater starb damals, an das Jahr kann ich mich nicht mehr erinnern. Das allein war schon hart genug, wie jeder Gang zu einer Beisetzung. Ich weiß auch nicht mehr wie alt ich war, ich schätze mal 19. Klar waren alle fertig, dass mein Großvater gestorben war, dass er nun fehlte und über die Art und Weise wie er gehen musste. Beerdigungen von Menschen, die einem etwas im Leben bedeutet haben, sind immer schlimm. Gerade zum »Abschied« sollte man dann als Priester/ Pfarrer/ Pastor auf die labilen Gefühle der Angehörigen eingehen und eine Messe zelebrieren, die einen besänftigt und nicht aufwühlt. Irgendwie hatte der kirchliche Genosse unserer Gemeinde kein gutes Händchen dafür. Es war grausam.
Ich, der nun seit kurzem felsenfest davon überzeugt war, dass der Körper zwar stirbt, der Geist aber weiterlebt – in welcher Form auch immer -, musste mir jetzt Dinge anhören, die für alle anderen Angehörigen und Trauernden so schmerzhaft wie Salz in einer frischen Wunde gewesen sein musste. Nach dem Motto »Ihr werdet ihn nie weder sehen! Findet euch damit ab, dass er tot ist und dass ihr ihn nie wieder in eure Arme schließen werdet – selbst nicht im Jenseits!« Natürlich habe ich das jetzt etwas überspitzt dargestellt, aber so ähnlich klang es in meinen Ohren. Und es tat weh. Diese Endgültigkeit und die zwanghaften Schläge in die Magengrube, indem man noch und nöcher erzählt bekommt, wie die eigene Großmutter nach dem Tod ihres Mannes gelitten hat. Das soll der christliche Glaube sein? Was war mit der Trennung von Körper und Geist? Wie war das noch mal mit dem Paradies? Oder hatte ich am Ende die Bibel falsch verstanden? Alles wurde so endgültig und hart formuliert, dass ich nicht selten den Kopf schütteln musste. Zum Glück hat das damals keiner gemerkt, sonst hätte man das am Ende noch falsch aufgenommen. Herzlich und mitfühlend geht jedenfalls anders. Mir wurde an diesem grauen Vormittag klar, dass das nicht meine Ansichten von Leben und Tod sind und dass ich in dieser Glaubensgemeinschaft nichts mehr verloren hatte.
Als alle nach der Trauerfeier der Meinung waren, dass das eine »wundervolle Messe« gewesen war, ging ich meines Weges und besorgte mir schnellstmöglich ein Exemplar der Bhagavad Gita.

Die Gita ist quasi die hinduistische Bibel; eher der bekannteste Teil eines Bibel-Bandes. Im Gegensatz zu der dicken Bibel, ist die Gita mit ihren knapp über 200 Seiten eher ein dünnes Werk. Dafür aber umso eingängiger und, zumindest für mich, überzeugender. Es war das erste Mal, dass ich mich intensiver mit dem Hinduismus auseinander setzte und war überrascht, wie sehr sich die hinduistischen Ansichten mit meinen selbst gezimmerten Überzeugungen deckten.
Natürlich bezeichne ich mich heute nicht als Hindu, laufe nicht mit einem roten Punkt zwischen den Augen oder einem auffälligen Gewand rum. Den Hinduismus selbst bezeichne ich noch nicht mal als Religion. Für mich ist es eine Philosophie und Einstellung zum Leben, die, in einem Wort, gleich das mitbringt, was vielen anderen Religionen fehlt: Harmonie. Es gibt keine festen Regeln, keine Gottesdienste, keine Gotteshäuser, keinen Himmel, keine Hölle, keine Fesseln, die einem angelegt werden. Letztlich verlangt der Hinduismus von einem nur, dass man für sich und für andere das Beste aus dem Leben macht, andere Menschen toleriert und akzeptiert und einfach nur in Frieden lebt – und stirbt. Zu sich selbst finden und für sich herausfinden, was den eigentlichen Sinn des Lebens darstellt. Es liegt an einem selbst, in wie weit man es dabei treiben will, Stichwort Meditation und Stichwort Karma. Utopisch gedacht, gäbe es unlängst Frieden auf der Welt, wenn sich alle an die Karma-Philosophie halten würden. Wirklich ein fast schon lächerlich utopischer Gedanke, dass alle Menschen nur Gutes tun und das alles nicht mal mit einer eigennützlichen Motivation dahinter. Ich tue mich, ehrlich gesagt, noch schwer in schlechten Menschen etwas Gutes zu sehen oder gar ihnen etwas Gutes zu tun. Das Göttliche schlummert angeblich in allem um uns herum, auch im Menschen. Bei manchen Exemplaren bezweifle ich das allerdings bis heute.
Angenommen, jemand hätte diesen Blog ernsthaft von Anfang bis Ende gelesen und besäße gleichzeitig die Muße des Kommentierens, würde sicherlich die Frage nach der Wiedergeburt fallen. Die Wiedergeburt ist immerhin kein unwichtiger Faktor im Hinduismus. Der Grundgedanke ist, wie erwähnt, dass ihr selbst (der, der diesen Text gerade liest) nicht der Körper seid, sondern die Seele. Der Körper ist nur Mittel zum Zweck, damit man, also die Seele oder der Geist oder wie man es auch immer nennen möchte, überhaupt manifestiert in dieser Welt rumlaufen und handeln kann; Scheiße bauen oder gleich in die Politik gehen kann. Während der Körper munter vor sich hin altert und irgendwann unter der Erde landet, lebt die Seele endlich, bis man irgendwann »in Gott aufgeht«. Das dauert in der Regel etwas und bis dahin wird man nach einiger Zeit wieder geboren. Man dreht quasi Ehrenrunden, bis man irgendwann die Erleuchtung erlangt und aus diesem endlosen Kreislauf ausbrechen kann. Ich für meinen Teil glaube nicht, dass man als Stein, Pflanze oder Tier wieder geboren wird. Wenn, dann schon als Mensch. Aber genau hier ist der Punkt erreicht, der die Grenzen der menschlichen Vorstellungskraft sprengt. Die Frage nach dem Leben nach dem Tod.

Im Grunde genommen muss man sich im Klaren sein, dass man »nur« ein Mensch ist. Streng genommen also ein weitestgehend haarloser Affe, der sein Gehirn etwas besser nutzt als seine primitiven Vorfahren. Unsere Vorstellungskraft, unsere Fantasie hat seine Grenzen. Glaubt ihr nicht? Dann beantwortet euch doch selbst mal die Frage, was nach dem Rande des Universums kommt. Ihr wisst schon, das Schwarze. Der Weltraum. Irgendwo muss es ja ein Ende geben, und wenn ja, was ist dahinter? Noch mehr schwarzes Nichts? Unendliche Universen, Sterne, Planeten etc.? Wir werden diese Frage nie beantworten können, weil wir es 1. nie nachweisen werden können und 2. nicht verstehen würden. Unsere Vorstellungskraft reicht dafür schlichtweg nicht aus. Sprichwörtlich mindblowing.
Genau so ist es mit der Frage nach dem Leben nach dem Tod. Geht das Licht aus? Geht es irgendwie weiter? Mit Logik allein kann man diese Frage aller Fragen nicht beantworten. Eigentlich ist es genau so mit Religionen und dem Glauben an sich. Menschen neigen dazu, nur das zu glauben, was sie sehen können bzw. was wissenschaftlich belegbar ist. Dummerweise gibt es zwischen Himmel und Erde nun mal jede Menge Dinge, die man eben nicht erklären, geschweige denn sehen kann. Dass wir nur begrenzt etwas wahrnehmen oder erklären können, macht den meisten wohl Angst, weswegen sie eben nur das glauben, was sie sehen. Ist ja nicht tragisch. Ich glaube jedenfalls, dass es genug Dinge gibt, die ein Mensch weder verstehen noch erklären kann. Darunter zählt auch das, was nach dem Tod folgt. Sei es nun die Hölle, die Wiedergeburt oder das Nichts.
Man steigt von einem Fahrzeug ins nächste, so könnte man es am Einfachsten umschreiben.

Natürlich gibt es, gerade ab der rebellierenden Jugendzeit, genügend Agnostiker oder Atheisten, die, genau wie ich, den Sinn hinter dieser und jener Religion nicht verstehen und sich vom Glauben völlig abwenden. Man verschwendet keine überflüssigen Gedanken mehr an einen fiktiven Gott oder einem Paradies nach dem Tod. Alles legitim, alles okay. Schlimm wird es nur, wenn über Gläubige hergezogen und sich lustig gemacht wird. Darin sehe ich so viel Sinn wie Atheisten in die Religion. Da lob ich mir einen Weg, der Toleranz lehrt; würde jedem gut tun.
Wenn sich jene unter euch zurecht fragen, was einem ein Glaube oder eine Religion bringt, dann ist es automatisch die Frage nach dem Tod. Der Moment, in dem man weiß, dass jeder Wimpernschlag der letzte sein kann. Wenn man von einer Einstellung überzeugt ist, gibt einem das die gewisse Ruhe, um nicht in Panik zu geraten. Denn wie schnell kann es passieren, dass man sich von jetzt auf gleich in eben dieser letzten Lebenssituation wieder findet? Ich weiß, in meinem Alter (oder noch jünger) denkt man nicht ans Ableben. Wieso auch? Man geht einfach davon aus, dass man so jung ist, dass einem nichts passieren kann. Die Realität sieht aber anders aus. Unsterblich ist niemand. Schon morgen kann man über die Straße gehen und von einem unachtsamen Autofahrer erfasst werden. Man kann das Gleichgewicht verlieren und die Treppe runterfallen, unglücklich aufkommen und sich das Genick brechen. Beim nächsten Arztbesuch kann festgestellt werden, dass einen der Krebs erwischt hat. Mal ehrlich, denkt da jemand von euch dran? Im Alltag? Ich nicht, dabei wäre es dringend nötig.
(Ein passendes Beispiel meinerseits habe ich erst vor kurzem erlebt. Erneut machen meine Mandeln was sie wollen und ich musste wieder Antibiotika schlucken. Mein neuer Hausarzt riet mir, für die nächsten zwei Wochen auf Sport zu verzichten. Grund dafür ist, dass sich die Herzklappen durch körperliche Anstrengung leicht entzünden können, was wiederum nicht behandelbar ist und zum Tod führt. Mein voriger Arzt erwähnte das in der gleichen Situation mit keiner Silbe – und ich habe damals Sport getrieben, wenn auch nicht exzessiv. Ein mulmiges Gefühl, dass so was harmloses wie eine Mandelentzündung über Umwege zum Tod führen kann.)
Was macht man also, wenn man schwer verletzt im Krankenhaus aufwacht und einem mitgeteilt wird, dass man kurz vorm Exodus steht? Man gerät in Panik, klar, da würde jeder von uns gleich reagieren. Man hatte noch so viel vor, wollte noch so viele Dinge erleben und sehen, die Welt bereisen, einen guten Job finden, ein erfülltes, glückliches Leben führen. Wo sind meine Eltern, wo sind meine Freunde? Wir wären schockiert, überrascht und hätten Angst. Eine gewisse Überzeugung – sei es auch der realitätsnahe Glaube daran, dass es keinen Gott oder kein Jenseits etc. gibt – beruhigt einen; hoffentlich. Ein guter Grund, auch für Agnostiker mal darüber zu grübeln. Erst recht ein guter Grund für die beinharte Sorte Mensch, die, wie erwähnt, alles zu wissen glaubt und sich nichts vormachen lässt. Jene, die sich mit einem müden Blick der Welt stellen, von Tag zu Tag leben und quasi nur auf den Tod warten. Dabei aber immer fein über die herziehen, die immerhin versuchen einen Sinn für sich in diesem Leben zu finden bzw. glauben gefunden zu haben. Früher hätten sich solche Exemplare als »cool« beschrieben. Was man heute zu dieser Einstellung sagt, weiß ich nicht. Dabei sind sie die ersten, die in Extremsituationen die Hände falten und anfangen zu beten. Wir leben schon in einer merkwürdigen Welt.

Ich glaube, ich bin ein bisschen vom Thema abgewichen. Jedenfalls sollte ich meine Ansichten zu diesem trockenen und nicht ganz so leichten Gebiet gut dargestellt haben. Man belächelt das Thema leicht und nimmt es nicht ernst. Jeder sollte an das glauben, was er für richtig hält und was ihm hilft. Solange kein Dritter dabei verbal oder körperlich verletzt wird, ist doch alles in Ordnung. Religion sollte jedenfalls nicht über das eigene Leben bestimmen. Sie ist nur eine Hilfe, damit wir unser eigenes Leben zu bestimmen lernen. Ohne Einstellung und Ziel im Leben verwest man wissentlich vor sich hin. Ich bin für meinen Teil froh, dass ich mich für eine neue (Lebens)Einstellung entschieden habe.



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