Hakahori

Postcrossing

Gegen die Leere des Briefkastens

Einen Vorzug, auf den ich mich insgeheim beim Beziehen der ersten Wohnung mit am meisten gefreut habe, war der eigene Briefkasten! Jaha, klingt komisch, ist aber so. Endlich ein eigener Briefkasten, in dem alle eingehende Post tatsächlich auch für mich und nicht etwa für die Eltern oder den Bruder bestimmt ist. Deswegen fiel in der ersten Zeit mein Blick natürlich stets beim Betreten und Verlassen der Wohnung in den Briefkastenschlitz, um zu sehen, ob die Post schon durch war. Mittlerweile hat sich dieses Ritual etwas verloren, denn mit dem eigenen Briefkasten ist es in etwa so wie mit dem Posteingang des eigenen E-Mail-Kontos: selten verirrt sich mal »richtige« Post darin, viel zu oft aber Werbeblättchen aka Spam.

Das so genannte Postcrossing ist nicht der schlechteste Weg, um diesem gähnenden und frustrierenden Treiben ein Ende zu setzen. Wer gerne Postkarten schreibt und empfängt, sollte den Serivce mal ausprobieren, dessen Slogan ganz simpel lautet:

»send a postcard and receive a postcard back from a random person in the world!«

Und für alle, die Multilingual nicht so auf der Höhe sind und im Englischunterricht lieber mit ihren Smartphones rumgespielt, als der verzweifelten Lehrerin zugehört haben, hier noch mal eine kurze Erklärung:
Man erstellt ein persönlich Profil auf der Seite Postcrossing.com und fordert eine Adresse an. Dabei greift die Seite auf eine umfangreiche Datenbank zurück (sprich, die Community), pickt jemanden heraus und gibt so die Adresse preis, an die eine Postkarte geschickt werden soll. Was man dabei schreibt, ist völlig belanglos. Selbst wenn man eine Hieroglyphen-ähnliche Schreibschrift hat und das alleine jemanden schon zu einem Arztberuf (de)klassiert, ist das kein Thema. So oder so sollte das Gekritzelte zumindest in der Weltsprache Englisch auf der Postkarte zu finden sein. Den meisten Postcrossern geht es meist eher um das Postkartenmotiv als um die Message, die hinten drauf zu finden ist.
Durch einen mit aufgeschriebenen Code bestätigt man beim Erhalt, dass die Karte ihren Weg zum Empfänger gefunden hat. Bis zu fünf Karten kann man gleichzeitig in die Welt verschicken – und wohl auch erhalten. Ich bin noch nicht lange dabei, habe bisher lediglich drei Karten verschickt (China und Russland) und zwei erhalten. Und ja, es macht Spaß. Es ist interessant zu lesen, was andere, mir völlig Fremde Menschen in kurzen Sätzen zu erzählen haben. Und die Motive machen sich an der Pinnwand auch nicht schlecht.

Man kann es auch auf den Punkt bringen, und sagen, dass es ein netter Zeitvertreib ist. Man kann natürlich auch in die Vollen gehen und ständig fünf Karten in alle Welt verschicken, ebenso viele erhalten und eine Sammlung erstellen, aber das wäre mir persönlich zu viel des Guten. Ab und zu sollte genügen. Jedenfalls freue ich mich jedes mal, wenn ich den Briefkasten öffne und ich auch mal etwas darin finde – eine exotische Postkarte aus einem fernen Land.
Andererseits kann man sich natürlich jetzt auch an den Kopf fassen und sich die Frage stellen: »Wer verschickt denn heute noch Postkarten oder schreibt Briefe?!« Zugegeben, in der heutigen digital verseuchten Welt wird man für so ein Vorhaben belächelt oder gleich für verrückt erklärt. Mir geht es in der Sache um Nostalgie. Eine E-Mail kann niemals den persönlichen, fast schon intimen Charakter eines handgeschriebenen Briefes erreichen. Alle digitalen Ableger der Kommunikation sind so unpersönlich wie Düsseldorf, One Night Stands oder ein Gespräch mit dem persönlichen Vermittler vom Arbeitsamt zusammen. Ich bin ein Freund des Persönlichen, der alten Schule.
Es ist nicht teuer, lässt sowohl bei den Kartenmotiven als auch beim geschriebenen Text kreativen Freiraum und ist eine willkommene Abwechslung im eingespielten Alltag. Für jeden, der Freude am Verschicken und Empfangen von Karten hat, ist Postcrossing zu empfehlen. Für alle, denen selbst der Gang zur nächsten Postfiliale oder deren Briefkästen zu weit ist, eher nicht so.



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