Hakahori

Daily Life

Gastroskopie

Ärzte sind mir in den vergangenen Monaten fast schon ans Herz gewachsen, so oft musste ich einen aufsuchen. Eigentlich habe ich ständig irgendein Gebrechen, auch schon in der Kindheit gehabt, und hatte gar keine Zeit auch nur einen Hauch von Angst zu entwickeln. Respekt, ja, aber keine Angst vor Ärzten. Ich betrete die Praxis eines Urologen genau so unbeschwert und locker wie die eines Zahnarztes; die panische Angst vor Zahnärzten konnte ich sowieso noch nie nachempfinden. Bei Krankenhäusern ist das aber etwas anderes.
Krankenhäuser versprühen einen sterilen Charme von Schmerz, Leid und Tod. Viel schlimmer noch als in einem nach Putzmittel müffelnden Krankenhauskorridor zu stehen, ist ein klinisch gesäuberter Krankenhauskorridor im Stile der 70er- oder 80er-Jahre. Im Ernst, eine veraltete Umgebung aus einer Zeit, in der Architekten aller Art scheinbar an Geschmacksverirrung litten, bereitet mir mehr Unbehagen als die kranken Menschen um mich herum, die in ihren Krankenbetten von A nach B kutschiert werden. Gerade weil ein Krankenhaus ein Ort ist, den man nur krank aufsucht, muss es doch einladend und nett wirken. Aufbauen und beruhigen soll es. Ich hatte diesen Montag Glück, mit einem Haus in Köln.

Was stand an? Eine Gastroskopie, was, wie alle möglichen Bezeichnungen in Griechisch oder Latein, viel schlimmer klingt als es ist. Magenspiegelung sagt den meisten wohl eher etwas. Die war unumgänglich, nachdem ich durch meine Mandelprobleme über Wochen hinweg die unterschiedlichsten Antibiotika schlucken musste. Folge war, dass mein Magen dann irgendwann nicht mehr mitspielte und auch nicht mehr einzukriegen war. Ich teilte die Meinung meiner Hausärztin, dass es wohl die beste Entscheidung wäre, mal in den Bauch reinzugucken. Unruhe stieg in mir auf. Man will mir also einen Schlauch in den Schlund bis in den Magen schieben. Ich meine, okay, es ist höchst wahrscheinlich immer noch angenehmer als eine Darmspiegelung, aber das tröstete mich im ersten Moment auch nicht wirklich. Die Erleichterung kam dann erst später, als ich mich näher mit dem Thema beschäftigte.
Ich betrat also das angesprochene Krankenhaus in Köln am frühen Vormittag und war erst mal positiv überrascht. Das Haus war nicht nur verboten gigantös, es war auch noch halbwegs modern und einladend eingerichtet. Die Vorhalle war mit einigen aus Marmor wirkenden Säulen durchzogen, die Luft war frisch, kein Geruch von Putzmitteln oder Erbrochenem drang an meinen Riechkolben, und das wichtigste: die Beschäftigten waren freundlich! Das Entsetzen stand mir förmlich ins Gesicht geschrieben, als ich eine nette, freundliche Antwort auf die Frage bekam, wo ich denn hin müsse, für eine Gastroskopie.

»Quer durch die Halle. Halten Sie sich dabei bitte rechts. Dann durch die große Tür, über der groß EKG steht. Dann sind sie schon da.«

Jetzt im Nachhinein stelle ich mir die Szene in etwa so vor, dass ich der netten Dame noch einige Augenblicke mit offenem Mund gegenüberstehe und ihre fragenden Blicke über mich ergehen lasse. So war es natürlich nicht. Ich war nicht in eine Schockstarre verfallen, ich war nur verblüfft, dass man plötzlich so freundlich war. Im Alltag ist es zu einer Seltenheit geworden, dass einem selbst auch Höflichkeit entgegengebracht wird. In meinem Alltag ist das zumindest so. Mit meinem ersten guten Eindruck löste ich mich also vom Informationsschalter und machte mich auf den Weg. Quer durch die Halle, die auf mich wie eine venezianische Hotel-Halle zum Sommerbeginn wirkte, rechts gehalten und durch die vollautomatische EKG-Tür. Hinter der Tür wartete auch schon die nächste Schwester in einer Art von Glaskasten; wie ein Ticketschalter am Bahnhof. Ich meldete mich an, sie hakte meinen Namen ab, gab mir Informationsmaterial zur Magenspiegelung, mit all ihren Risiken, und dazu noch einen Wisch zum Ausfüllen. Übliche Prozedur. Ich setzte mich in den Wartebereich, las brav alles durch, füllte brav alles nötige aus und tat das, was man im Wartebereich so tat. Warten.

Ich kann mich noch dunkel an meine Abschlussprüfung von der Höheren Handelsschule erinnern, wo wir jungen Leute in einem Knäuel ängstlich von einem Bein auf das andere wippten. Schon damals fragte man mich, ob ich nicht aufgeregt sei. Nein, ich ticke da irgendwie anders. Bei mir verhält sich die Aufregung genau gegensätzlich. Ich bin ein bis zwei Wochen VOR einem wichtigen, unumgänglichen oder unangenehmen Termin hibbelig. An etwas anderes als an diesen Termin zu denken fällt mir in dieser Zeit sehr schwer. Ich mache mich selbst verrückt. Ist dann aber endlich der Tag gekommen, bin ich die Ruhe selbst.
Einen kurzfristigen Termin für eine Gastroskopie zu kriegen ist nicht unmöglich. Zumindest nicht dann, wenn man 1) einen wirklich akuten Fall von Magenproblemen hat oder 2) Privatpatient ist. Versteht mich nicht falsch, es war (und ist teilweise immer noch) ziemlich unangenehm, jeden Morgen mit Übelkeit aufzuwachen oder hier und da von Magenkrämpfen durchgeschüttelt zu werden, aber als »lebensbedrohlich« kann man es nicht bezeichnen. Ich gehörte also weder Kategorie 1 noch Kategorie 2 an. Einzig und allein Glück verhalf mir zu einem Termin innerhalb von 2 Wochen. Bei einem anderen Doc hätte ich 2 Monate warten müssen. 2 Monate!
Nun stand ich also wieder da: in 2 Wochen kommt es zu einem unumgänglichen, unangenehmen und gleichzeitig wichtigen Termin. Die Aufregung durchfuhr schon meinen Körper, bis ich mich ins Thema reinlas und das Wörtchen »Kurznarkose« fiel. Gängige Praxis würde ich es nicht nennen, aber heutzutage hat man die Wahl, ob man für die Magenspiegelung narkotisiert werden will oder nicht. Und schon fiel die Aufregung von mir ab – mehr noch, ich wurde von der Neugier besprungen! Ich war in meinem Leben noch nie (bewusst) narkotisiert und war jetzt heiß darauf zu erfahren, wie das so ist. Weg sein, einfach so. Oder nein, man wird sicher langsam eindösen, wie als wenn man zu lange wach war oder zu viel getrunken hat. Die Augenlider werden schwer und man schlummert dahin. Ja, so wird es bestimmt sein. Ich hatte eine richtige Vorfreude. Krank oder? Jedenfalls half mir diese neue, interessierte Einstellung über die Wartezeit von 2 Wochen hinweg. Und dann kam eben dieser Montag.

Im nächsten Korridor öffnete sich eine Schiebetür und ein ründlicher Mann in Rosa kam mit ausgestreckter Hand auf mich zu.

»Ah, Sie müssen Herr I…saac sein.«
»So ähnlich. Aber ja, der bin ich wohl.«
Er war mir gleich sympathisch.

Das rosa Outfit verriet mir, dass er Assistenzarzt war. Und im Ernst, er war mir sympathisch. Er hatte ein Dauergrinsen im Gesicht und war nicht nur humorvoll, sondern – Schocker! – freundlich. Auch er! Unglaublich. Ich fiel vom Glauben ab. Wo bin ich hier nur gelandet? Habe ich ausnahmsweise mal einen guten Tag erwischt oder sind hier alle immer so nett und freundlich? Oder bin ich bereits so verbittert, dass ich automatisch immer unfreundliches Personal erwarte? Im Krankenhaus, wo der Stresslevel mit am Höchsten ist, könnte ich eine gewisse Pampigkeit immerhin noch verstehen. Aber nein, der Herr war freundlich und erkundigte sich über meine Beschwerden und Vorerkrankungen, witzelte hier und da, erklärte mir den Vorgang und streichelte meinen Handrücken. Habe ich »streichelte« geschrieben? So ähnlich. Er tupfte meine Haut eher mit Desinfektionsmittel ab, um den Weg frei für den Zugang zu machen. Ein stechender Schmerz von einer stechenden Nadel.

»So, das Schlimmste haben Sie jetzt schon hinter sich. Der Zugang ist gelegt, bitte legen Sie sich auf die Pritsche. Die Schwester bereitet sie weiter vor.«

Die Schwester. Die Assistenzschwester vom Assistenzarzt, quasi. Eine grimmige, dürre, wortkarge Frau erschien plötzlich im Raum. Sie legte sich eine Plastikweste um, beide zogen sich Gummihandschuhe an. Mir wurde noch ein Blutdruckding am Arm und am Ohr angelegt.

»Da, einmal schlucken!«
Der Ton passte zu ihrem Erscheinungsbild, dachte ich. Die Schwester reichte mir einen kleinen Becher mit einer Sperma-artigen Flüssigkeit.
»Mit dem Zeug beruhigen wir die Magenschleimhaut und können gleich mit dem Schlauch besser reinrutschen. Schmeckt nach nichts.«

Danke, Herr Rosa! Immerhin einer, der mir hier mal etwas erklärt. Ich wollte ihm noch dankende Worte zum Smalltalk an den Kopf werfen, als mir Schwester Grumpy ein SM-Knebel um den Mund schnallte. Klar, damit ich in der Narkose nicht auf dem Schlauch rumkaue. Hätte man aber auch sanfter machen können. Mein neu gewonnenes Bild von der freundlichen Rasse Mensch bröckelte. Diese Schwester stellte das Gleichgewicht wieder her. Stumm stand sie da, korrigierte meine liegende Haltung und schaltete dann das Hauptlicht aus.
Jetzt wurde es creepy. Ein verdunkelter Raum, nur von schwachem Licht und einigen Lämpchen von medizinischen Geräten um mich herum beleuchtet. Im Hintergrund hörte ich das gleichmäßige Piepen meines eigenen Herzschlags. Ja, ich war im Krankenhaus, so kennt man es auch aus Emergency Room & Co. Für einen kurzen Moment fühlte ich mich wie in einem gruseligen Film. Ich will das alles doch gar nicht! Ich hasse Krankenhäuser! Und dann noch diese Grumpy-Schwester. Hau ab!

»Versuchen sie an etwas schönes zu denken. An Urlaub, Sonne und Strand. Es geht los.«
Mit diesen Worten setzte der lächelnde Herr Rosa eine Spritze an meinen Handrücken an und drückte ab. Einige Sekunden vergingen.
»So langsam müssten sie was von der Wirkung merken.«
Ja, jetzt wurde es langsam etwas schwummrig um mich herum. Ich nickte noch, dann wurde es schwarz.

Ich kann mich beim besten Willen nicht an den Moment erinnern, wann ich weggetreten bin. Eine Narkose ist definitiv nicht so wie normales Einschlafen. Meine Lider wurden nicht schwer. Ich war weg, von jetzt auf gleich. Ich bekam rein gar nichts mehr mit und wachte erst wieder im Aufwachraum auf. Traumlos.
»Aufwachraum«, ich sinnierte noch halb benebelt über diesen Namen. Ich sollte mein Schlafzimmer ab jetzt auch Aufwachraum nennen. Denn das ist er ja, ein Raum, in dem man aufwacht. Aber müsste ich das Zimmer dann nicht »Einschlaf- und Aufwachraum« nennen? Ich dachte noch einen Moment darüber nach, ehe ich plötzlich bemerkte, dass ich es hinter mir hatte. Mein Zeitgefühl war weg und ich fragte mich, wie lange die ganze Prozedur wohl gedauert hat. Die Gastroskopie wohl nur 10 Minuten, die Narkose eine gute halbe Stunde.
Geflasht trifft meinen Zustand in diesem Moment wohl am Ehesten – und das lag nicht am verabreichten Narkotikum (Propofol übrigens). Ich war fasziniert wie schnell ich weg war, wie schnell man einen Menschen komplett abschalten kann, ohne dass er auch nur das geringste merkt. Ich will noch mal! Bitte, schaltet mich noch mal ab! Aber eine zweite Runde war dann doch zu viel verlangt. Mein Blutdruck wurde überprüft, ich konnte wieder im Wartezimmer Platz nehmen, noch etwas wackelig auf den Beinen. Fünf Minuten später sah ich ein vertrautes Gesicht wieder: Mister Rosa! Er besprach mit mir, was ich quasi verpasst hatte und diagnostizierte eine entzündete Magenschleimhaut an einigen Stellen, sowie überschüssige Gallenflüssigkeit. Die passenden Medikamente verschrieb er mir direkt und verabschiedete sich im gewohnt freundlichen Ton und mit einem Händedruck.
So positiv überrascht ich von dem ganzen Ablauf war, ein »Auf Wiedersehen« verkniff ich mir dann doch.

Ich bin froh, dass man wenigstens etwas gefunden hat, was meine Komplikationen erklärt. Fraglich ist, ob die verschriebenen Medikamente nun wirklich Abhilfe schaffen. Das wird sich in den kommenden Wochen zeigen. Einen weiteren Aufenthalt im Krankenhaus will ich mir, trotz dieser durchweg positiven Erfahrung, lieber verkneifen.
Und während mein Magen mit Pulver und Tabletten versorgt wird, beweist mein schmerzender Nacken, dass ich mit meinen noch nicht mal 26 Jahren zu einem gebrechlichen Geschöpf verkommen bin. Ein Wehwehchen folgt auf‘s nächste. Bleibt nur zu hoffen, dass größere Wehwehchen ausbleiben.



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  1. […] sich die Sache wieder beruhigte. Wie ich das genau hingekriegt habe, weiß ich nicht. Selbst eine angesetzte Gastroskopie konnte das nicht vollständig klären. Als kleines »Andenken« an die Zeit, hat es meine Galle […]