Hakahori

Das »Cloud Atlas«-Phänomen

Nachdem ich vergangenes Jahr »Cloud Atlas« im Kino gesehen und kurz darauf auch einen kleinen Blog geschrieben habe, war für mich relativ schnell klar, dass ich das Buch, auf dem der teure Streifen basiert, lesen muss. Mittlerweile ist etwas Wasser den Fluss herunter gesprudelt, ich habe den Roman gelesen, den Film nun auf Blu-ray und ihn mir nochmals zu Gemüte geführt. Glanz und Tiefe hat er für mich nicht verloren, im Gegenteil. »Cloud Atlas« ist einer meiner Lieblingsfilme überhaupt; umso überraschter war ich über die Meinungen anderer Kinogänger.

100 Millionen Dollar hat er gekostet, nur ein Bruchteil floss wieder zurück in die Kassen. Ein finanzieller Misserfolg? Nominierungen, beispielsweise für den Oscar, blieben aus. Kritiken waren – von den Ottonormalkinogängern – eher negativ gestimmt.
Spätestens an diesem Punkt habe ich mir, wie so oft, die Frage gestellt, ob ich einfach so verquer anders ticke als der Rest der Gesellschaft. Wer tanzt hier aus der Reihe, ich oder die anderen? Natürlich bin ich bei weitem nicht der einzige Kinogänger, der den Film zu schätzen weiß, aber jene sind eher in der Unterzahl. Nach langem Grübeln kam ich zu dem Schluss, dass mit dem Film alles in Ordnung ist. Was hier fehlerhaft sein muss, sind die Zuschauer. Das Kino hat sich verändert. Ein Phänomen.

Überforderung. Wenn ich es in einem einzigen Wort zusammenfassen müsste, was im Beispiel »Cloud Atlas« schief gelaufen ist, dann ist es die pure Überforderung des Publikums. Hollywood hängt sich unlängst an Blockbuster, die storytechnisch in etwa die Tiefe eines Kinderbeckens im Schwimmbad erreichen. Massige Effekte, One-Liner, stereotypische Protagonisten – Popcornkino vom Feinsten. Gegen Popcornkino habe ich rein gar nichts einzuwenden. »Avengers« & Co. sind keine durchweg schlechten Filme. Solche eher banalen Filme führen aber dazu, dass wirkliche Zelluloidperlen nicht mehr wahr- bzw. angenommen werden.
Man ist mittlerweile gewöhnt, dass man den gesehenen Film schon innerhalb der ersten paar Minuten versteht. »Cloud Atlas«, als Beispiel, versteht man nicht innerhalb der ersten Stunde, was viele Besucher sicherlich dazu bewegt hat, den Saal vorzeitig zu verlassen. Man kann diesen Film weder einem bestimmten Genre zuschreiben noch in einem Satz erklären, worum es inhaltlich geht.
Was fällt denen nur ein? Sollen wir etwa bei diesem Film aufpassen und mitdenken? Im Kino? Tz…

Nach etwa einer Stunde im Film pausiere ich die Blu-ray. Pinkelpause!
»Und, wie gefällt Dir der Film bisher«, frage ich einen Kumpel, der den Streifen noch nicht gesehen hat. Fragende Augen blicken mich an, wie ich es auch erwartet hatte.
»Definitiv interessant. Aber bisher versehe ich nur Bahnhof.«
Ich habe ihm versichert, dass er sich davon nicht verunsichern lassen soll. Einfach bis zum Ende gucken. Und da, innerhalb der letzten halbe Stunde fiel er, der Groschen. Der Aha-Effekt, den so viele ungeduldige Kinobesucher nie erlebt haben, setzte ein.

Innerhalb der ersten Stunde nicht zu wissen, worum es im Film geht, verunsichert die Zuschauer. Sie kommen scheinbar nicht mehr mit, sind sie doch durch den Einheitsbrei des heutigen Hollywood-Mülls zu sehr verwöhnt worden. Ungeduld führt zu Überforderung. Hinzu kommt noch die ungewöhnliche Filmlänge von fast drei Stunden. Lang, ja, aber ich kenne keinen, der jemals bei einem der »Herr der Ringe«-Filme darüber gemeckert hat. So wie die HdR-Trilogie, braucht auch dieser Film eine gewisse Zeit, um sich zu entwickeln. »Es ist wie eine Umarmung, die im Verlauf immer enger und enger wird«, hat es Tom Hanks mal passend formuliert.
Ich habe es in meinem Review-Blog schon beschrieben, aber ich wiederhole mich gern: Wenn der Abspann läuft, bin ich jedes mal wieder aufs neue geplättet. Dieser Film ist schwer und lädt förmlich zum Denken ein. Ein weiteres, großes, schier unüberwindbares Hindernis für den Ottonormalkinogänger von heute. Hat sich dieser erst mal bis zum Abspann durch-»gequält«, mit all seinen Fragezeichen über dem Kopf, folgt ein designiertes, alles sagende »Häh?«. Was will einem dieser Film nun sagen? Der Zuschauer wird aufgefordert selbst über die Message nachzudenken – ein Schocker!

»Cloud Atlas« ist ein schönes Beispiel für jene Filme, die ihrer Zeit voraus sind. Ein verfrühtes Meisterwerk, das vielleicht in zehn, 20 Jahren Anklang finden wird. Ich hoffe zumindest, dass dieser Film, wie das Buch, zu einem Klassiker wird. Eine gelungene Buchadaption, poetisch, metaphorisch, moralisch… Einer meiner Lieblingsfilme.
Was das Phänomen des heutigen Kinos angeht, habe ich keine große Hoffnung, dass sich da in absehbarer Zeit etwas ändern wird. Geld regiert die Welt, das gilt auch oder vor allem in Hollywood. Man wird also weiter vielversprechende Kost produzieren, nicht zu anspruchsvoll, aber mit viel Krachbumm und möglichst wenig Inhalt. Die Kasse macht Katsching und das Hirn des Zuschauers geht auf Sendepause.



Keine Kommentare

  1. Ironiezeichen sagt:

    Filme sind da um uns zu verzaubern, um uns auf eine Reise in die Phantasie zu schicken. Jeder für sich erlebt diese reise anders, jeder für dich erblickt andere Facetten.

    Lass dich nicht von Anderen leiten. Gleichwohl die Kritik zwar gemischt ist, weist du den Film zu schätzen. Und glaub mir, noch viele Andere mögen ihn.