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Hakahori

Menschenfreund

Ich bin kein Menschenfreund.

Merken konnte ich das die Tage wieder, als ich mich plötzlich in einer Menschentraube am Bahnhof wiederfand, weil wieder mal drölfzigtausend S-Bahnen ausgefallen sind. Das allein wäre schon ein guter Grund, schlechte Laune zu haben. Hatte man doch nach Feierabend besseres vor, als in kalt-feuchtem Wetter auf einem zugigen und zuglosen Bahnsteig zu stehen. Rechnet man dann noch den Pulk von Menschen dazu, ist meine Stimmung ganz im Eimer.

Das liegt – man mag überrascht sein – nicht daran, dass ich Menschen verabscheue oder irgendwas in dieser Richtung. Ich fühle mich schlichtweg unwohl in Gruppen von fremden Menschen. Das dürfte wohl jedem so gehen. Aber wo sich andere einfach die Stöpsel in die Ohren schieben, Musik hören und entspannen können, scheine ich etwas anders zu ticken.

Ein konkretes Beispiel ist körperliche Nähe. Umarmungen sind mir bis heute eher unangenehm – ausgenommen bei einer bestimmten Person natürlich. Wer von Haus aus diese Nähe nie kennengelernt hat, wird sich auch nicht so schnell daran gewöhnen. Und das sieht und merkt man mir in eben solchen Situationen auch an. Egal ob in der Familie oder unter Kollegen.

Wenn man sich von Freunden bzw. Bekannten verabschiedet, fragt sich sicher jeder für einen Moment: Handschlag oder Umarmung? Mir fällt das immer besonders schwer, weil ich im Grunde beides nicht will, mich aber für eins Entscheiden muss. #firstworldproblems

Das ist womöglich ein Grund, warum ich auf nicht wenige Leute vielleicht etwas kühl oder abweisend wirke. Das, und mein von Zynismus durchsetzten schwarzen Sarkasmus-Humor. Im Grunde ist mir das aber egal. So bin ich halt.

Es gibt logischerweise Momente im Leben, in denen man um diese Mitmenschlichkeit nicht drumrum kommt. Im Beruf zum Beispiel, der Umgang mit Kollegen. Hier ist es ganz paradox, weil ich im Kundendienst arbeite (…). Da sich der Kundenkontakt aber nicht auf einer persönlichen Ebene abspielt, habe ich da keinerlei Probleme. Eher im Gegenteil: Ich helfe gerne. Meine Empathie ist ziemlich ausgeprägt und ich leihe anderen Menschen, Freunden, Bekannten gerne mein Ohr. Es ist nur nicht so, dass ich offen darauf zugehe.
Ein Soziopath bin ich also nicht. Eher nur introvertiert.

Anstrengend wird es, wenn man unweigerlich in eine Rolle fällt, um sich sozial nicht auszugrenzen. Mit der Zeit habe ich mir diese Flucht nach Vorne einverleibt, um eben nicht als stiller, introvertierter Mensch zu gelten. Warum? Weil man es so im Leben schwerer hat, was das Sozialleben angeht. Wie soll ein Introvertierter Mensch, der mit fremden Menschen nicht umgehen kann, neue Kontakte knüpfen? Neue Freundschaften – oder gar eine Beziehung?! Unmöglich, wenn man nicht einen Weg findet, über seinen Schatten zu springen. Und dieser Sprung ist meist eine Rolle, die man spielt. Schauspiel. Und es hilft.
Je länger man dieses Spiel treibt, umso schwieriger ist es, nach Feierabend wieder aus dieser Rolle raus zu kommen. Mitunter kann einem mal entfallen, wie man noch mal unter dieser Maske tickt.

Glücklich ist der, der mindestens eine Person in seinem Leben hat, bei dem man so sein kann, wie man ist. Wo einem eine Umarmung nicht ent- sondern die Batterien wieder auflädt. Körperliche Nähe bettet einen dann gefühlt auf der umgangssprachlichen siebten Wolke. Und die ganze Anstrengung des sozialen Hin und Hers, die einen früher, allein, noch aufgefressen hat, fällt einfach von einem ab.

Ich bin nicht normal, ich weiß. Glaube aber, dass ich nicht der einzige Verquere bin, der so tickt.


10. Januar 2016 - Tags: ,