Hakahori

Wenn es kälter wird

Habe ich eigentlich schon mal erwähnt, dass ich viele Menschen von Grund auf nicht verstehen kann?
Ein alltägliches Schauspiel, das jeder kennen dürfte: Man findet sich in einer Schlange an der Kasse wieder. Einem wird schnell bewusst, dass man nicht die einzige Blitzbirne war, die auf die Idee gekommen ist, noch schnell den ein oder anderen Einkauf zu erledigen. Man stellt sich also an und beobachtet das Geschehen um einen herum, bis man in die Reichweite des Bandes kommt.
Was man dort sieht und erlebt ist leider genau so Alltag wie das Anstellen selbst. Damit meine ich nicht das Anrempeln mit dem Einkaufswagen, beabsichtig oder nicht, oder das mittlerweile stark in Mode gekommene Unhöflich-sein. Auch an die Tatsache, dass Manieren ein No-Go sind, habe ich mich mittlerweile gewöhnt. Wieso bin ich eigentlich so doof und erwarte dann noch etwas Empathie?

Wenn ich – immer noch in der Schlange an der Kasse – jemanden hinter mir sehe, der nur ein oder zwei Teile in den Händen hält, lasse ich ihn vor. Egal wie alt oder auch assig dieser Mensch sein mag. Das gehört sich so und ich wurde so erzogen.
Wenn der Herr oder die Dame vor mir das Kleingeld zum Bezahlen zusammenkratzt, Jahre braucht, um die Einkäufe zurück in den Wagen zu schmeißen oder langwierig mit der EC-Karte bezahlt, stöhne ich nicht genervt auf, sondern bewahre Ruhe.
Wenn ich dann an der Reihe bin und mich bis dahin z.B. mit meinem Smartphone belustigt habe, stecke ich es spätestens in diesem Moment weg und widme mich dem Menschen, der mir meine Einkäufe berechnet.
Wenn mich der/ die Kassierer/in begrüßt, ob nun ernst gemeint, mit oder ohne Augenkontakt, grüße ich höflich zurück. Gleiches gilt für’s »Auf Wiedersehen« bzw. »Schönes Wochenende«.

Es ist mir erst die Tage passiert, dass ich das Fehlen all dieser Eigenschaften bei nur einer einzigen Person erleben durfte. Einem Jugendlichen, der niemanden vorließ, rumstänkerte, weil es ihm nicht schnell genug ging, die ganze Zeit mit seinem Smartphone rumspielte, Grüße nicht erwiderte.
Jetzt frage ich mich, ob ich einen Trend zum Asozialen verpasst habe oder ob ich einfach in jeder Hinsicht unnormal bin?!
Nein, ich kann diese Leute nicht verstehen. Ich will, aber ich kann nicht. Ich steige nicht dahinter, wie man so sein kann, wie sie sind.
Und es werden immer mehr.
Woran liegt das?

Natürlich will ich hier nicht alles auf die »Jugend von heute« schieben. So ein verhalten kennt weder Alter noch Geschlecht oder etwa eine Gesellschaftsschicht. Und natürlich wird so ein Verhalten viele individuelle Gründe haben. Hier will ich aber eine ironische Parallele beleuchten, die in dem genannten Beispiel gut passt.
In der heutigen Welt, wo jeder mit jedem vernetzt ist, will trotzdem irgendwie jeder eine Insel sein. Fremde sollen einem bloß nicht zu nahe kommen, bloß nichts Falsches über einen denken oder gar zu viel von einem erfahren. Gleichzeitig kann man aber online einsehen, wo sich derjenige gerade befindet (Foursquare & Co.), wo er arbeitet und ob er gerade in einer Beziehung ist (Facebook & Co.), bis hin zu dem, was es heute Abend zu essen gibt (Instagram & Co.). Fehlt nur noch die Größe der Oberweite bzw. des Gemächts, dann ist das Bild vollkommen – selbst dafür gibt es seit jeher die passenden Internetplattformen.

Im digitalen Zeit»Alda!« verlagern sich die Leben scheinbar ins World Wide Web. Fühlen sich die Leute online vielleicht lebendiger oder freier als in der realen Welt? Und wenn ja, wieso? Ist die Anonymität so reizvoll? Hemmungen fallen jedenfalls ziemlich schnell, wenn man einmal on ist. Jedes noch so introvertierte Mauerblümchen kann dort seinen Macho raushängen lassen. Anders kann ich mir die Flut von Duckfaces, Fotos, auf denen »mega-cool« geposed wird, bis hin zu Schwänzen und anderen Vulgärem nicht erklären.
Vielleicht ist es aber auch umgekehrt und das Internet gleicht immer mehr dem realen Leben. Aber nur weil man online kein Deut auf Manieren, Mitgefühl und Menschlichkeit geben muss, heißt das ja noch lange nicht, dass man es auch im realen Leben abschalten sollte. Oder?

Noch mal: Ich weiß, das böse Internet ist wieder an allem schuld. Nein, natürlich nicht! Für geistig Zurückgebliebene kann es aber durchaus unterstützend sein, soziale Werte abzubauen. Das wird man nicht verhindern können, also bleibt mir nichts anderes übrig, als die fortschreitende Asozialisierung zu akzeptieren und mich wärmer anzuziehen.
Gefühlskälte macht sich breit, unabhängig von der Jahreszeit.



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